Tochter d. Göttin

 

 

Sie lief – nein, sie rannte regelrecht!

Tränen benetzten ihre Wangen.

Schließlich erreichte sie die Stelle am See, die sie so sehr liebte.

Im fahlen Licht der Nacht erblickte sie den alten, längst abgestorbenen Baum. Und doch stand er aufrecht, majestätisch in seinem Ende.

 

Warum? Warum nur immer wieder?

Warum nur verstanden sie die anderen nicht – mieden sie oder feindeten sie an?

Sie tat ihnen nichts Übles, wurde aber abgelehnt. Und diese Ablehnung gab ihr immer wieder das Gefühl ausgestoßen, allein zu sein.

 

Der Schrei der Raben, der Boten der Anderswelt, riss sie aus ihren Gedanken.

Ein leichter, kühler Wind wehte vom Wasser her und ein Frösteln erfasste ihren Körper.

 

Da vernahm sie die Stimme – sanft und warm und voller Zuneigung.

>Verzage nicht!<

Langsam schüttelte sie ihren Kopf. Spielten ihr ihre Gedanken einen Streich?

Doch da war sie wieder, diese Stimme.

Voller Klarheit drang sie weit in ihr Bewusstsein..

>Verzage nicht, meine Tochter!<

 

>Wer bist du?“, flüsterte sie leise.

 

>Ich bin die, die immer bei dir war; die dich behütet und beschützt hat.

Warst du durcheinander, strich ich zärtlich über dein Haar. Konntest du nicht einschlafen, sang ich dir sanfte Schlaflieder. Warst du traurig, küsste ich dir deine Tränen fort.

Du warst und du bist niemals allein – denn ich bin die, die immer bei dir sein wird!<

 

Sie konnte nicht sprechen; ihr fehlten schlichtweg die Worte.

In ihrem Innersten jedoch, aus den Tiefen ihres Seins, stieg eine leises, sanftes Empfinden von Geborgenheit und Glück empor.

 

>Meine Tochter, ab nun wirst du den Weg gehen, der dir vorherbestimmt ist!

Oh...der vor dir liegende Pfad wird nicht immer leicht zu beschreiten sein; aber du wirst immer wissen, dass ich da, dass ich bei dir bin.

Und ich will dir ein Geschenkt machen. Strecke deinen Arm aus!<

 

Sie schloss die Augen und tat wie ihr geheißen.

Als sie in ihrer Hand etwas spürte, schaute sie hin und sah ein großes, prachtvolles Schwert. Unwillkürlich schlossen sich ihre Finger um das Heft.

 

>Dieses Schwert sei von nun ab das deine. Du wirst lernen, mit ihm zu kämpfen.

Aber nicht, um zu töten und zu zerstören; sondern um zu verteidigen und zu beschützen. Du wirst mit ihm dass, was recht und wahrhaftig ist scheiden von dem, was unrecht und was von Übel.

Und dir selbst wird es Schutz und Schirm sein vor allem, was dir nicht wohlgesonnen ist.

Niemand außer dir wird es sehen können, denn es ist deine Waffe voller Magie und Zauber. Doch deine Widersacher werden von ihm zurückschrecken.<

 

Einen Moment hielt die Stimme inne. Dann sprach sie noch einmal und die Worte waren voller Liebe und Sanftmut:

>Nun geh deinen Weg, meine Tochter! Ich bin mit dir und in dir!<

 

Voller Dankbarkeit und Ergebenheit schloss sie noch einmal die Augen und neigte ihr Haupt.

Es war, als spürte sie auf ihrer Stirn einen Kuss – unendlich liebevoll und voller Zärtlichkeit.

 

Dann stand sie aufrecht und ihr Blick war klar und voller Stolz.

Fest umschloss ihre Hand ihr Schwert.

Niemand würde ihr mehr unrecht tun; niemand mehr sie herumstoßen!

Sie wusste wo ihr Platz war, ihr zuhause.

Sie war nicht allein.

 

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